PARLAMENTSKORRESPONDENZ/02/17.11.2000/Nr. 672

JUSTIZAUSSCHUSS BESCHLIESST GEMEINSAME OBSORGE

Meinungen darüber bleiben weiterhin geteilt

Wien (PK) – In den gestrigen Abendstunden nahm der Justizausschuss die Regierungsvorlage zum Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001, in dessen Mittelpunkt die gemeinsame Obsorge nach einer Scheidung steht, in Verhandlung. (296 d.B.) Im Gegensatz zur derzeitigen Rechtslage soll die gemeinsame Obsorge beider Eltern aufrecht bleiben, jeder Elternteil kann aber ohne Angabe von Gründen die Aufhebung dieser Obsorge beantragen. Weitere Punkte des Entwurfes betreffen unter anderem die Senkung des Volljährigkeitsalters auf das vollendete 18. Lebensjahr sowie die Bestimmung, dass Minderjährige über 14 Jahren in Pflegschaftsverfahren selbständig verfahrensfähig sein sollen und Anträge stellen können.

Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand naturgemäß die Frage der gemeinsamen Obsorge. Der Justizausschuss hatte sich an zwei Tagen intensiv mit dieser Problematik im Rahmen eines Hearings mit zahlreichen namhaften ExpertInnen auseinandergesetzt. Eine einhellige Meinung hatte sich dabei nicht herauskristallisiert, wie auch die abschließende Diskussion der Mitglieder des Justizausschusses gezeigt hat. Opposition und Regierungsfraktionen warfen einander ein selektives Wahrnehmungsvermögen vor.

Die SozialdemokratInnen bedauern, wie die Abgeordneten Barbara Prammer, Gisela Wurm und Johannes Jarolim feststellten, dass dieser Entwurf nicht in Begutachtung gegangen sei. Die meisten Punkte des Gesetzes seien zwar positiv, die zentralen Bestimmungen zur Obsorge stellten jedoch einen Rückschritt dar und entsprächen nicht dem Kindeswohl. Prammer mutmaßte, dass die Auswirkungen zu Lasten der Schwächeren und vor allem der Frauen gehen und Unterhaltsfragen massiv auf den Tisch kommen würden. Die S-MandatarInnen stellten nicht in Abrede, dass viele ExpertInnen durchaus für eine gemeinsame Obsorge eingetreten seien, sie hätten aber andere Wege dazu aufgezeigt. Mit der vorliegenden Lösung würden die Kinder in die Streitfälle miteinbezogen, weshalb die Regierung die schlechteste und verantwortungsloseste aller Möglichkeiten gewählt habe.

In die gleiche Kerbe schlug Abgeordnete Terezija Stoisits (G), die einen Abänderungsantrag einbrachte, der die Streichung dieser zentralen Änderung vorsieht. Als Begründung führt sie darin auch an, dass in Hinkunft bei strittigen Trennungen auf Kosten des Kindes mit Hilfe des Gerichts mit regelmäßigen Anträgen weiter gestritten würde, was nicht dem Wohl des Kindes diene. Stoisits räumte ein, dass das Expertenhearing bei ihr in manchen Detailfragen ein Umdenken bewirkt habe, das gewollte Modell der gemeinsamen Betreuung von Kindern werde aber auch deshalb nicht funktionieren, weil die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ungünstig seien. Man unterliege der Illusion eines bestimmten Familienbildes, das es nicht gebe, die Frauen würden wieder erpressbar. Wie die S-Abgeordneten auch, ziehe sie eine Obsorge auf Antrag vor.

Die Regierungsparteien argumentierten, dass die vorangegangene Regierung bereits einen Entwurf zum Kindschaftsrecht eingebracht habe, der auch in Begutachtung gegangen sei. Das Ergebnis dieses Begutachtungsverfahrens habe in den Entwurf Eingang gefunden, es sei aber richtig, dass die Regelungen zur gemeinsamen Obsorge neu hinzu gekommen seien. Für Abgeordnete Edith Haller (F) sind die Änderungen notwendig, weil sie Verbesserungen bringen. Man mache damit den Eltern ein Angebot, das sie annehmen können, aber nicht müssen. Ihr Fraktionskollege Michael Krüger wies ergänzend auf die bestehende gemeinsame Obsorge in anderen europäischen Ländern wie England, Schweden und der BRD sowie auf eine Empfehlung des Europarates hin.

Abgeordneter Walter Tancsits (V) sprach von einer Dramatik der jetzigen Situation, wo Scheidungen auf dem Rücken der Kinder ausgetragen würden, weshalb ein weiteres Zuwarten schlecht gewesen wäre. Er sieht die gemeinsame Obsorge als einen Auftrag an beide Elternteile, nach Möglichkeit das Kindeswohl in den Vordergrund zu stellen und den Konsens zu finden. Wo es nicht funktioniere, greife ohnehin der Richter ein. Ähnlich argumentierte sein Fraktionskollege Josef Trinkl.

Nachdem die Opposition auch immer wieder die Aussetzung der Regelungen gefordert hatte, um die Entwicklung in Deutschland abzuwarten, und für eine Abkühlungsphase nach deutschem Vorbild plädiert hatte, entgegnete Bundesminister Böhmdorfer, dass diese in unserem Nachbarstaat zu einer Entfremdung zwischen einem Elternteil und den Kindern geführt hätte.

Bei der Abstimmung wurde die Regierungsvorlage in der Fassung eines Abänderungsantrages sowie eine Ausschussfeststellung mit F-V-Mehrheit angenommen. Die Änderungen sehen unter anderem die Abstellung auf das Kindeswohl für den Fall der Beendigung der Obsorge beider Eltern vor.

Der von Abgeordneter Stoisits eingebrachte und von Abgeordneter Prammer unterstützte Abänderungsantrag, der den Entfall der gemeinsamen Obsorge vorsieht, weiters das Zeugnisverweigerungsrecht in der ZPO auch für LebensgefährtInnen festlegt und die Einschränkung des Unterhaltsvorschussgesetzes auf österreichische Staatsbürger aufhebt, wurde von den Regierungsfraktionen abgelehnt.

Ein Vier-Parteien-Entschließungsantrag, in dem der Justizminister ersucht wird, bis 31. Dezember 2001 dem Nationalrat einen Gesetzesvorschlag zuzuleiten, der unter Berücksichtigung bisheriger Erfahrungen die rechtlichen Voraussetzungen und den rechtlichen Rahmen für die Ausübung der Mediation regelt, wurde einstimmig angenommen.

Ein weiterer Entschließungsantrag, in dem der Justizminister ersucht wird, dem Nationalrat bis Ende 2005 einen Bericht über die Auswirkungen der Neuregelungen des Kindschaftsrechts vorzulegen, insbesondere was die Akzeptanz der Obsorge und Besuchsrechtsregelungen, die Wirkungen auf das Kindeswohl und was die Form der Konfliktaustragung anlangt, wurde mit F-V-G-Mehrheit angenommen.

 

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