GEMEINSAME OBSORGE BEI EXPERTEN UND POLITIKERN HEISS UMSTRITTEN

DAS WOHL DES KINDES UND DIE KASTRATIONSANGST DER VÄTER

Justizausschuss: Expertenhearing zum Kindschaftsrecht

Wien (PK) - Mit einem Expertenhearing zum Kindschaftsrecht hat heute der Justizausschuss des Nationalrats seine Beratungen über das Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001 aufgenommen. Wie die vorsitzführende Obfrau des Ausschusses eingangs mitteilte, wird das Hearing in der kommenden Woche (Mittwoch) fortgesetzt. An dem Hearing nahm auch Justizminister Dieter Böhmdorfer teil.

Zunächst wurde nach einer Geschäftsordnungsdebatte ein Antrag der Grünen, dem sich auch die Sozialdemokraten anschlossen, die Kinder- und Jugendanwaltschaft als Experten-Institution in die Beratungen einzubeziehen, von der Mehrheit der Koalitionsfraktionen abgelehnt. Die vorliegende, 15 Namen umfassende, Expertenliste wurde ebenso einstimmig beschlossen wie die Zulassung der Öffentlichkeit zu dem Hearing.

Univ.Doz. Helmuth Figdor, psychoanalytischer Pädagoge und Psychotherapeut, wandte sich eingangs seines Statements gegen eine Überbewertung des Gesetzes: Entscheidend sei, was mit dem Kind geschehe und welche Unterstützungs-, Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten es vorfinde. Die Experten seien sich einig, dass die Trennung der Eltern für die Kinder problematisch ist, weil das triadische Beziehungssystem sehr wichtig sei. Wo das "3. Objekt" fehle, falle eine wichtige Bedingung für eine gesunde Entwicklung weg. Im Zusammenhang mit der gemeinsamen Obsorge sei daher zu fragen, ob sie als Rahmen für eine gesunde Entwicklung eher günstig sei oder nicht. Figdor sprach sich für gemeinsame Obsorge aus; zu diskutieren sei, ob die gemeinsame Obsorge oder der Ausschluss der gemeinsamen Obsorge auf Antrag erfolgen sollte.

Er sei dafür, die gemeinsame Obsorge bestehen zu lassen, sagte Figdor, und alleinige Obsorge nur auf Antrag vorzusehen. Er begründete seinen Standpunkt damit, dass die Klärung der Frage, wer das Sorgerecht zugesprochen erhält, in einer konfliktreichen Situation einen zusätzlichen Konflikt schaffe. Zudem führe die Tatsache, dass für Nach-Scheidungs-Familien keine "Rollen" vorhanden seien, zum Ausagieren von egoistischen Interessen. Er erwarte sich, dass durch eine entsprechende Regelung ein bisschen weniger Väter ihre Kinder im Stich lassen und ein bisschen weniger Mütter den Kontakt zum Vater torpedieren. Er verwies in diesem Zusammenhang auf Erfahrungen in Schweden, wonach innerhalb eines knappen Jahrzehnts die Kontaktabbrüche von Vätern abgenommen hätten.

Figdor schlug im Detail aber Änderungen bei den Regelungen zur Festlegung des Wohnsitzes (Paragraf 177 a Abs.2) vor.

Univ.Prof. Astrid Deixler-Hübner (Universität Linz) begrüßte die Stärkung der Rechte des Kindes in dem Entwurf, insbesondere die Stärkung der Verfahrensfähigkeit der Minderjährigen über 14 Jahren. Wie ihr Vorredner wandte sie sich dann dem Thema gemeinsame Obsorge zu. Dabei sei wichtig, dass beide Seiten zu gleichen Teilen in die Pflicht genommen würden.

Wie Figdor kritisierte auch Deixler-Hübner die geplanten Regelungen bezüglich der Verknüpfung der Obsorge mit dem hauptsächlichen Aufenthalt. Die Expertin sprach sich vehement für eine Streichung oder zumindest Änderung dieser Bestimmungen aus und plädierte für die ausschließliche Orientierung am Kindeswohl. Es gebe kein "vertyptes" Kindeswohl, Automatismus diene nicht dem Wohl des Kindes. Der Gesetzgeber könne nur an bestimmte Lebensformen bestimmte Rechtsfolgen knüpfen, betonte Deixler-Hübner, aber nicht Lebensformen bestimmen.

Auch Ulrich Deisenhofer, Stv. Vorsitzender des Deutschen Familiengerichtstags, wandte sich kritisch gegen die von seinem Vorrednern kritisierten Bestimmungen. Er sah in der Bindung der alleinigen Obsorge an den hauptsächlichen Aufenthalt eine ausschließliche Orientierung am Prinzip der Kontinuität, wodurch andere Kriterien für das Wohl des Kindes nicht berücksichtig würden. Deisenhofer sprach sich gegen Regelungen aus, durch die Einigungschancen reduziert werden. Im Zusammenhang mit den Umgangsrechten Dritter trat er dafür ein, das Umgangsrecht der Großeltern nur in Verbindung mit dem der Eltern zu regeln. Hinsichtlich des "begleiteten" Umgangsrechts seien die Erfahrungen in Deutschland gemischt, weil es schwer sei, einen "neutralen Dritten" zu finden. Insgesamt sei diese Form nach längeren Unterbrechungen sinnvoll.

Deisenhofer stellte eingangs seines Vortrags die Rechtslage in Deutschland dar, wo die Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge seit Mitte 1998 in Kraft ist. Diese Regelung gehe von der gemeinsamen Sorge der Eltern aus, eine gerichtliche Entscheidung erfolge nur, wenn ein Antrag auf alleiniges Sorgerecht eingebracht werde. Es gebe in der gemeinsamen Sorge keinen Vorrang, vielmehr gebe es - bekräftigt durch den Bundesgerichtshof - zwei gleichberechtigte Alternativen. Bisher hätten über 60 % keinen Antrag auf alleinige Obsorge gestellt, die gemeinsame Obsorge sei also bestehen geblieben, sagte Deisenhofer.

In einer Fragerunde an Deisenhofer erkundigten sich die Abgeordneten nach den Erfahrungen und der konkreten Praxis zum Besuchsrecht und Details der Regelung der gemeinsamen Obsorge in Deutschland (Prammer, S), nach den Motiven für die Änderung der Rechtslage in Deutschland (Stoisits, G), nach dem Gewicht moralischer Verpflichtungen (Wurm, S), nach einer Bewertung der deutschen gegenüber der österreichischen Regelung (Krüger, F) und nach Details zum Entfremdungs-Syndrom bei Scheidungskindern (Paphazy, F). Justizminister Dieter Böhmdorfer wollte von Deisendorfer eine Äußerung betreffend die Kontinuität beim Wohnort des Kindes.

In seiner Antwort plädierte der deutsche Gast für eine möglichst individuelle und auf das Alter abgestufte Gestaltung des Besuchsrechts. Bei der gemeinsamen Obsorge sei es wichtig, dass dadurch zwei Alternativen angeboten werden; gegen den Willen eines Elternteils könne die gemeinsame Obsorge nur bei das Wohl des Kindes entscheidend beeinträchtigenden Differenzen aufgehoben werden.

Als Motiv für die Änderung der Rechtslage in Deutschland nannte Deisendorfer, dass Väter sich durch den Entzug des Sorgerechts "kastriert" und entrechtet fühlten. Wenn man ihnen ihre Identität als Vater lasse, ändere sich dadurch ihre Befindlichkeit. Die Erfahrung zeige, dass sie ihre Kinder dann auch eher besuchten. Es gebe diesbezüglich aber in Deutschland - infolge der relativ kurzen Zeit - noch keine Studien, räumte Deisendorfer ein.

Durch das Umgangsrecht als Recht des Kindes sei die moralische Verpflichtung verstärkt worden, sagte der Experte weiter. Im Vergleich zur deutschen Regelung halte er die in Österreich geplante für besser, weil sie vorsehe, dass zu bestimmten Punkten die Eltern sich erklären und die Richter genehmigen müssten. Zur Frage nach dem elterlichen Entfremdungssyndrom meinte Deisendorfer, dass "zwei Väter besser als keiner" seien. Die Festlegung des Wohnorts würde er im Gesetz lassen, sie sei sinnvoll - ob notwendig, wisse er nicht.

Univ.Prof. Max Friedrich sprach von den Schwierigkeiten, das Kindeswohl festzulegen. Kindeswohl sei lebensaltertypisch, kulturspezifisch und alltagstypisch zu sehen. Das Kind müsse dabei in seiner Körperlichkeit, Intellektualität, Emotionalität und Sozialisation erfasst werden. Man dürfe nicht vergessen, dass das Kind in all diesen Dimensionen seinen Eltern ausgeliefert sei, gab er zu bedenken.

Bei der gesetzlichen Regelung hätte es nach Ansicht Friedrichs ausgereicht, die Informationspflichten und das Informationsrecht auszubauen und sämtliche Möglichkeiten der Mediation zu nutzen. Positiv stand Friedrich der Idee eines Kinderrechtsanwaltes nach dem Vorbild Berlins gegenüber, der die nötige Äquidistanz zu den Eltern aufweist. Auch hätte nach Einschätzung Friedrichs das ursprünglich diskutierte Trennungsjahr Sinn gemacht, um eine Abkühlungsphase herbeizuführen.

Was die Richter betrifft, die über das Kindeswohl zu entscheiden haben, verlangte Friedrich von diesen profunde Kenntnisse in der Entwicklungspsychologie, Psychopathologie, Soziologie, Familiendynamik und Gruppendynamik. Es reiche jedenfalls nicht aus, wenn ein Richter diese Gebiete bloß angelesen hat, sie aber nicht beherrscht, warnte Friedrich. Wichtig war für ihn auch, dass es bei der Entscheidung über die Obsorge nicht zu "Halbe-Halbe" kommt. Diesbezüglich vermisste er Garantien im Gesetzesentwurf, die dies verhindern.

Univ.-Prof. Max Haller (Institut für Soziologie, Graz) schickte voraus, dass die Zahl der Scheidungen 1999 deutlich zugenommen hat. Bei 18.000 Scheidungen waren insgesamt 17.000 Kinder betroffen. Scheidung bedeute für Eltern und Kinder grundsätzlich etwas Verschiedenes. Für die Partner mag die Scheidung ein Neubeginn sein, Kinder würden Scheidung aber als großes Problem erleben, zumal eine Elternbeziehung das ganze Leben nicht erlösche.

Haller berichtete von Umfragen bei Scheidungskindern in der Steiermark, die ergeben haben, dass die Kontakte mit dem nicht erziehenden Elternteil meist nicht als etwas Erfreuliches erlebt werden. Was diesen Kontakten fehle, sei das gemeinsame Erbringen wichtiger Tätigkeiten. Aus diesem Grund sieht es Haller für unumgänglich, dass die Kontakte regelmäßig erfolgen und auch das Übernachten miteinschließen.

Zum Gesetzesentwurf meinte Haller, die Formulierung eines Rechtes könne zwar das Verhalten nicht festlegen, würde aber insbesondere bei den Vätern zu einer Bewusstseinsänderung führen. Aus diesem Blickwinkel heraus sei das Modell der gemeinsamen Obsorge zu begrüßen. Eine getrennte Obsorge lehnte Haller nicht nur aus grundsätzlichen rechtsphilosophischen Überlegungen ab – Wer hat das Recht, einem Elternteil die Obsorge wegzunehmen?, fragte er -, sondern auch, weil dahinter seiner Meinung nach ein traditionell konservatives Familien- und Frauenbild stehe. Die alleinige Obsorge ließ er deshalb nur in dem Fall von schweren Verfehlungen eines Partners gelten.

(Schluss)

 

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